Ein Schloss für die Republik
Im Zentrum Berlins werden
momentan Tatsachen geschaffen:
Auf Grundlage eines Bundestagsbeschlusses vom
4. Juli 2002 und eines
Architektenwettbewerbs von 2008 wird am ehemaligen Standort das
historische Stadtschloss wiederaufgebaut – oder besser gesagt, ein neues
Gebäude, das im Aussehen und in seiner Kubatur teils jenem historischen Schloss
entspricht. Die Entstehungsgeschichte dieses Gebäudes wurde von Diskussionen
und Kritik begleitet, es polarisiert bis heute. Ist der Wiederaufbau sinnvoll?
Bild 1: Die Schlossbaustelle, Quelle:
Miriam Guterland (Own work) [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/
licenses/by-sa/3.0)],
via Wikimedia Commons
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Um dies besser beurteilen zu
können und um zu wissen um was für ein Gebäude es sich beim Originalschloss
genauer handelte im Folgenden einige historische Fakten.
Der Originalbau hatte die
Geschichte von 500 Jahren erlebt. Er war von Beginn an Residenz der
Hohenzollern, jener Adels-Dynastie, die die Geschichte Brandenburgs, Preußens
und später Deutschlands in zuletzt unheilvoller Weise maßgeblich geprägt hat. Neben
dem Leben am Hofe spielten sich im Gebäude und seiner näheren Umgebung auch bedeutende
Ereignisse ab.
So z.B. die Märzrevolution 1848
oder die Revolution 1918, als die Monarchie zusammengebrochen war. Die Umgebung
des Schlosses war immer wieder Schauplatz von Massenkundgebungen, sei es zu
Zeiten der Monarchie, in der Weimarer Republik, der Nazizeit oder der DDR.
Im Alltag war das
Schloss ebenfalls präsent: So waren seine Portale z.B. lange Zeit für die
Bürger geöffnet, die durch seine Höfe schlendern konnten und im Winter gab es
Weihnachtsmärkte vor dem Schloss.
Zerstörungen erlebte
das Schloss zu verschiedenen Zeitpunkten: So wurde beim sog. “Berliner Unwille“
im 15. Jahrhundert die Schlossbaustelle geflutet, weil die Bürger um ihre
Selbständigkeit fürchteten. Nach Ende des 1. Weltkrieges kam es zu Plünderungen
im ungeschützten Gebäude. Auch gab es Zerstörungen durch Beschuss. Das mit
Abstand verheerendste Ereignis war aber
ein Bombenangriff im Februar 1945. Die Brände hinterließen nur wenige
Räume unversehrt, allerdings standen die Fassaden weitgehend noch. Ab 1949
gehörte die Stadtmitte mit dem Schloss zum Staatsgebiet der DDR, 1950 wurde
seine Ruine schließlich Stück für Stück beseitigt. Einzig das Portal, von dem
Liebknecht 1918 die Sozialistische Republik ausgerufen hatte, wurde erhalten
und in das Staatsratsgebäude integriert.
Man kann aufgrund
seiner langen Geschichte und seiner kunsthistorischen Bedeutung
berechtigterweise von einem der bedeutendsten, wenn nicht dem bedeutendsten
Bauwerk Berlins sprechen. Das Original ist leider 1950 unwiderruflich verlorengegangen.
Rechtfertigen die vorgenannten Fakten eine Rekonstruktion?
Ich denke nicht. Längere
Zeit tendierte ich zu einem Ja. Doch inzwischen habe ich meine Meinung aus mehreren
Gründen geändert:
Zum einen - die
angesprochene politische Bedeutung des Ortes.
Hier hatte sich das Fürstentum und dann die Monarchie repräsentiert,
später die DDR mit dem Palast der Republik, der hier nach der Schlosssprengung auf
eine temporär errichtete Tribüne folgte und inzwischen wieder abgerissen wurde.
Nun hätte es nach der Wiedervereinigung die Gelegenheit gegeben, mit
zeitgenössischer Architektur hier einen Ort zu schaffen, der für das vereinigte
Deutschland eine Symbolfunktion erfüllen könnte. Solch ein Identifikationsort
für die deutsche Demokratie hätte meiner Ansicht aber nur mit zeitgenössischer Architektur
geschaffen werden können. Stattdessen wird eine Rekonstruktion durchgeführt,
nicht etwa um die alte preußische Ordnung wiederherzustellen (wenn dies auch
möglicherweise im Sinne einiger Wiederaufbau-befürworter wäre), sondern mit
eben der Argumentation, dass es sich um ein herausragendes Gebäude handelt,
seine städtebaulichen Qualitäten hervorgehoben werden (worauf ich später noch
eingehen werde) und nach meiner Vermutung auch etwas trotzig der in den Augen
vieler Betrachter
sündhafte Abriss der Schlossruine durch die sozialistische
Diktatur rückgängig gemacht werden soll. Auch wenn mir dieser Trotz nicht
unsympathisch ist: Er allein reicht an diesem geschichtlich so aufgeladenen Ort
nicht als Rechtfertigung einer Rekonstruktion aus.
Außerdem impliziert gerade die herausragende
Wichtigkeit des Ortes einen zeitgenössischen Neubau. Gerade hier sollte nicht
auf Altes zurückgegriffen werden! Wenn es lediglich um die Wiederherstellung
einer verlorengegangenen, ansehnlichen Gründerzeitfassade an einer der vielen
Berliner Mietskasernen ginge, wäre ich für das Argument der Rekonstruktion
offen. Das Nichtumsetzen moderner Architektur an diesem Ort stellt dagegen
meiner Ansicht der heutigen Baukultur ein Armutszeugnis aus. Moderner
Architektur wurde scheinbar nicht zugetraut, dem Schloss etwas Gleichwertiges
entgegenzusetzen. Zugegeben, ein Neubau kommt nicht an die jahrhundertealte
Geschichte des Schlossvorgängers heran – die Rekonstruktion allerdings auch
nicht. Da lediglich die Fassaden nach alten Aufnahmen rekonstruiert werden,
lebt das alte Schloss nur zum Teil wieder auf. Ein Neubau mit tiefgründigem
Konzept hätte außerdem mit neuen Themen und Ereignissen seine eigene
„Geschichte schreiben“ können.
Mit dem jetzt zugrundeliegenden Konzept, dem sogenannten Humboldtforum,
einer Nutzungs-mischung aus Universität, Bibliothek, Berlin-Museum sowie den
ethnologischen Museen wird daher meiner Ansicht nicht das erreicht, was mit
mehr Mut hätte erreicht werden können. Davon abgesehen wird der Anspruch des
Humboldtforums, ein Begegnungsort der Weltkulturen zu nicht dadurch eingelöst,
dass in die geplante Nutzungsmischung die ethnologische Sammlung der Museen
Berlin-Dahlem einzieht. Jedenfalls bezweifle ich bei allem Respekt, dass das
Zurschaustellen von Einbäumen und den Wohnstätten untergegangener
Indianerkulturen hier zu einem fruchtbaren Dialog zwischen den heutigen
Weltkulturen führen wird. Vielleicht ist dies aber auch nicht der Anspruch, und
ich muss gestehen, dass mir genauere Details des Humboldt-Konzepts noch nicht
bekannt sind. Daher werde ich meine Meinung gerne korrigieren, falls ich beim
Besuch des neuen Museums mit seinen ohne Frage herausragenden Exponaten eines
Besseren belehrt werde.
Zweitens – die
städtebauliche Kubatur des Schlosses wird vorbehaltlos rekonstruiert.
Das für den
Wiederaufbau des Schlosses angeführte Argument der Bedeutung seiner
städtebaulichen Kubatur stimmt für mich nur teilweise: Auch ich halte ein
Gebäude an Stelle des Schlosses mit einer Fassade die in der Sichtachse der
Straße Unter den Linden liegt für sinnvoll. Gleichzeitig kann ich aber anderen
städtebaulichen Aspekten weniger abgewinnen: Das Schloss war zur Friedrichstadt
ausgerichtet, die heute nicht mehr existente Altstadt östlich des Schlosses
führte sozusagen ein Schattendasein im Rücken des Schlosses. Eine Einbindung dieser Seite wurde nie
vollzogen. Entsprechende Planungen gab es allerdings sogar vom
Schlossbaumeister Andreas Schlüter selbst, diese wurden jedoch nie umgesetzt.
Im Hinblick darauf halte ich einen Entwurf des renommierten Architekten
Stephan Braunfels, der mehrere Bundestagsbauten entworfen hat, für interessant:
Er vertritt die Ansicht, dass man den östlichen, zum früheren Stadtzentrum
ausgerichteten, ohnehin modern geplanten Gebäudeteil des Schlosses weglassen
und den Schlüterhof mit seinen rekonstruierten Fassaden in Blickrichtung zum
Fernsehturm ausrichten sollte. Ich glaube damit hätte das sogenannte
Rathausforum, jenes teilweise etwas öd anmutende Areal unter dem Fernsehturm, das
einen Großteil der verschwundenen Altstadt bedeckt, viel gewonnen. Diese
Möglichkeit besteht nun seit Fertigstellung des Rohbaus der Ostfassade des
Schlosses nicht mehr.
Der dritte
Hauptgrund aus dem ich den Wiederaufbau des Schlosses ablehne, ist
zugegebenermaßen wenig objektiv:
Es
mag sein, dass Andreas Schlüter mit dem Umbau des Berliner Schlosses das größte
Barockbauwerk nördlich der Alpen geschaffen hatte; es mag auch sein, dass
Schlüter ein großer Baumeister war; trotzdem lassen mich die strengen Fassaden
und die ebenfalls im Stadtbild bereits sichtbare Kuppel, die im Original unter
anderem von Stüler errichtet wurde und auf Plänen von Schinkel beruhen soll
nicht begeistert zurück. Ich kann den nicht ausgeführten Plänen Schlüters
städtebaulich etwas abgewinnen, den strengen gleichförmigen Fassaden kann ich
es nicht. Tatsächlich fand ich die romantisch anmutenden, auf der Ostseite bis
zur Zerstörung im 2.Weltkrieg noch existierenden Renaissancefassaden
ansprechender als die jetzt rekonstruierte barocke Einheitlichkeit.
Bild 6: Das Renaissanceschloss vor dem
Umbau durch Schlüter, Modell, Quelle: Gemeinfrei, Wikipedia
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Beim
Blick auf das Modell des Schlosses wie es bis zum Umbau durch Schlüter
vermutlich ausgesehen hat, muss ich zugeben, dass mir eine Rekonstruktion
dieser seit 300 Jahren nicht mehr existierenden Fassaden rein ästhetisch lieber
gewesen wäre – gleichzeitig bin ich mir aber bewusst, dass eine solche Maßnahme
noch absurder wär, als die jetzt durchgeführte Rekonstruktion.
Bild 4: Modell des Humboldtforums nach
den Plänen des Architekturbüros Franco Stella, Vicenza
Quelle: Foto von Jean-Pierre Dalbéra,
„Le projet Humboldt-Forum (Berlin) - La maquette du nouveau projet avec à
droite la Humboldt-Box“, https://www.flickr.com/photos/dalbera/6088312024/in/photostream/,
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/
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Bei aller Ablehnung bleibt aber die Tatsache bestehen, dass das Schloss
wiederaufgebaut wird.
Daher versuche ich mich mit der Realität anzufreunden und die positiven
Seiten der Rekonstruktion zu sehen. Und die gibt es tatsächlich:
Zum einen – das
Schloss war wirklich ein herausragender Bau und das Ensemble mit den weiteren
preußischen Repräsentationsbauten aus verschiedenen Jahrhunderten in seiner
Umgebung war einzigartig. Das Schloss als zentrales Bauwerk macht das
historische Zentrum wieder erlebbar.
Zum anderen - Das Schloss weist eine ca. 500jährige Geschichte auf. Der
nach dem Schlossabriss errichtete Palast der Republik stellte in dieser
Hinsicht lediglich eine Unterbrechung der Schlossgeschichte von 40 Jahren dar.
Mit der Rekonstruktion kann man den Menschen die Geschichte Berlins besser
veranschaulichen.
Außerdem – Auch wenn es ambitioniertere Nutzungen hätte geben können:
Das Humboldtforum verspricht trotz allem ein interessanter, neuer
Anziehungspunkt Berlins zu werden.
Und – Es hätte wirklich schlimmer kommen können. Auch wenn hier eine
meiner Ansicht nach tendenziell mutlose Entscheidung getroffen wurde, hätte
sich ansonsten vielleicht in der Tat ein modernes aber phantasieloses Projekt
bei einem Wettbewerb durchgesetzt. Schließlich ist auch zeitgenössische
Architektur per se nicht immer gelungen. Im schlimmsten Fall hätte ein solches
Bauwerk auf Jahrzehnte hinaus die Harmonie der umgebenden Bauten der Berliner Mitte gestört.
An diesem historischen Ort wurde nur ein kleinerer Schritt gewagt –
doch glücklicherweise hält auch dieser kleine Schritt in der Zukunft noch
einige Spannung bereit.
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